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    Im April 2022 bricht das renommierte Kyiv Symphony Orchestra zu einer Tournee nach Westeuropa auf. Diese Reise unterscheidet sich von den üblichen Tourneen. Zwei Monate zuvor hat Putins Armee die Ukraine überfallen; ein brutaler Angriff - auch auf die Kultur des Landes. Diese in Europa bekannt zu machen und zu verteidigen - das ist die Mission der Orchestermitglieder. Doch bald wird klar, dass sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können: Auftritte inmitten der umkämpften Stadt sind undenkbar. Die Reise wird zum Exil.

    Durch eine Verkettung von Zufällen landen die Symphoniker im thüringischen Gera. Die Stadt stellt ihnen Wohnräume und einen Proberaum zur Verfügung, die Berliner Philharmoniker übernehmen die Schirmherrschaft . Die MusikerInnen aus der Ukraine können zunächst aufatmen. Von hier aus reisen sie in die bedeutendsten Konzertsäle Europas und feiern Erfolge. Doch obgleich das ukrainische Kulturministerium das Orchester offiziell beauftragt hat, das Land an der so genannten “kulturellen Front” zu verteidigen, streicht die Stadt Kyiv im Mai 2023 die Finanzierung ihrer Symphoniker. Die Orchestermitglieder müssen in Thüringen Bürgergeld beziehen. Und mit jeder Vorladung des Jobcenters Gera wächst die Angst, dass die Auflösung des Orchesters bevorstehen könnte. Denn die MusikerInnen sollen in Deutschland in geregelte Arbeitsverhältnisse vermittelt werden - einzeln allerdings, denn einen 75-köpfigen Klangkörper zu vermitteln, kann ein Jobcenter nicht leisten. Für die Männer würde das die Rückkehr in die Ukraine bedeuten, wo sie in den Krieg eingezogen werden könnten.

    Als dieses Szenario beinahe zur Realität wird, kommt ein unerwartetes Angebot, das ihre Zukunft in einem neuen Licht erscheinen lässt.

    Produktions- und Sendedaten
  • Kabuls Demokratie im Exil

    Doku über afghanische Volksvertreterinnen

    Südwestrundfunk für das ARD Radiofeature
    Details

    Suraya Akbari, Homaira Ayubi und Shinkai Kharokhail sind gewählte und legitime Volksvertreterinnen der demokratischen Republik Afghanistan, die seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 nur noch de jure existiert.

    Als Frauen haben sie es in einer patriarchalen, muslimischen Kultur in hohe politische Ämter geschafft, nur um mitansehen zu müssen, wie ihr Land mit dem Abzug der westlichen Truppen auf den Nullpunkt der Frauenrechte zurückgeworfen wurde. Suraya Akbari war, als die Vertreibung der weiblichen Intelligenz einsetzte, mit 27 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten in Kabuls Parlament.

    Ihre Position hatte sie dafür eingesetzt, den Mädchen aus ihrer Heimatprovinz Paktika den Schulbesuch zu ermöglichen. Mit ihrem neugeborenen Sohn saß Akbari tagelang auf dem Flughafen von Kabul fest, bevor sie nach Deutschland emigrieren konnte, wo sie nun in einer brandenburgischen Kleinstadt Sprachkurse besucht. Homaira Ayubi ist ausgebildete Mathematikerin und leitete den Anti-Korruptionsausschuss im afghanischen Parlament.

    Mit Hilfe einer kalifornischen NGO floh sie mit ihrer Familie nach Kanada. Wie auch die Frauenbildungsexpertin Shinkai Kharokail, die 2021 als Geflüchtete in Toronto ankam – jener Stadt, in der sie einige Jahre zuvor als Botschafterin Afghanistan diplomatisch vertreten hatte. Kharokail versucht von Kanada aus ein Netzwerk afghanischer Politikerinnen zu bilden, als Gegenpol zur Gewaltherrschaft der Taliban in ihrer Heimat.

    Alle drei Frauen blicken zurück auf Lebensgeschichten, die von Brüchen bestimmt sind – und vom unermüdlichen Streben nach weiblicher Selbstermächtigung gegen die Widrigkeiten afghanischer und internationaler Politik.

    Produktions- und Sendedaten
  • Details

    Was, wenn doch die Zeit abläuft? Was, wenn die Menschheit die letzten Jahre vergeudet, die noch verbleiben, um die Klimakatastrophe zu verhindern? Was, wenn unseren Kindern kein lebenswerter Ort auf Erden bleibt? Was, wenn in einem Sommer eine Milliarde Tiere verbrennen und alle sehen auf ihren Handys zu? Und was, wenn es doch eine Revolution gäbe? Eine wirkliche? Wenn die Finanzwelt die fossile Energie als ökonomische Sackgasse erkennen würde?

    In der Klimakrise überschlagen sich Fragen und Ereignisse. Das Tempo der Auseinandersetzung nimmt zu. Die Autorin begleitete über viele Monate drei Menschen, die an vorderster Front für eine lebenswerte und global gerechte Zukunft kämpfen - als junger Erwachsener, als Elternteil, als Wissenschaftler. Die COVID-19 Pandemie, die in diesem Zeitraum ihren Lauf nahm, ließ den “Wir sind hier, wir sind laut”-Aktivismus viele Wochen stillstehen, bis kreative Formen gefunden wurden, um mit den neuen gesellschaftlichen Parametern umzugehen. Ob die damit einhergehenden, gravierenden Maßnahmen es möglich machen werden, globale Handlungsfähigkeit auch in Bezug auf die Klimakrise einzufordern, ist noch offen.

    Für demotivierenden Defätismus hätten wir jedenfalls weniger Zeit denn je, sagt der Ozeanphysiker und Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Vielmehr gelte es, das soeben angebrochene Jahrzehnt in eine Dekade heroischer Anstrengung zu verwandeln. Die Jahre zwischen 2020 und 2030 werden entscheiden, ob es einen irreversiblen und unkontrollierbaren Klimawandel gibt oder nicht. Die Physik gibt den Zeitrahmen vor. Und mit der Physik lässt sich nicht verhandeln.

    European Journalism Fellowship

    Diese Sendung wurde durch ein Recherchestipendium im Rahmen des European Journalism Fellowship der Freien Universität Berlin ermöglicht.

    Produktions- und Sendedaten
  • Der Tod des Soumayla Sacko

    Erntearbeiter, Gewerkschafter, Afrikaner in Italien.

    ORF
    Details

    In Mali war Soumayla Sacko Bauer. 2015 musste er sein Land verlassen, weil der Klimawandel seine Landwirtschaft ruiniert hatte. Er ließ seine Lebensgefährtin und seine damals zweijährige Tochter zurück und kam über die Wüste und das Mittelmeer nach Italien. In Kalabrien bewohnte er die „Baraccopoli“ von Rosarno, einen jener Slums, die während der Erntezeit tausende, größtenteils afrikanische Menschen beherbergen. Für zwei bis drei Euro pro Stunde arbeitete Soumayla Sacko auf den Zitrusplantagen der Umgebung.

    Bis zu seinem gewaltsamen Tod engagierte er sich gewerkschaftlich für die Rechte jener Erntehelfer, die Italiens damaliger Innenminister, Matteo Salvini, diffamierend als „neue Sklaven“ bezeichnet – und die doch längst ein fester Bestandteil der italienischen Ökonomie sind.   

    Am 2. Juni 2018 wurde er auf dem Gelände einer stillgelegten Fabrik in San Calogero erschossen. Mit zwei Freunden, Drame Madiheri und Fofona Madoufane, war er dabei, ein paar rostige Wellbleche abzusägen, als ein Mann aus einem weißen Fiat Panda stieg und aus seinem Jagdgewehr auf sei zu schießen begann. Fofona wollte sich aus den Wellblechen eine Baracke bauen, um nach seinen langen Arbeitstagen einen Ort zum Schlafen zu haben.

    Das Feature begleitet Soumayla Sackos Freunde und Kollegen bei ihrem Versuch, Wahrheit und Gerechtigkeit für ihn zu erwirken.

    CIVIS Medienpreis 2020

    Ausgezeichnet in der Kategorie "Lange Programme"

    Beim CIVIS Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt in Europa wurde am 2. Oktober 2020 die Ö1-Journalistin Franziska Sophie Dorau für ihr Feature „Der Tod des Soumayla Sacko“ mit dem CIVIS Audio Award in der Kategorie „Lange Programme“ ausgezeichnet. Die Jury begründete ihre Wahl so:

    „Eine außerordentlich sorgfältig recherchierte, durchgehend informative aber nie belehrende, ganz und gar fesselnde Geschichte über Sklaverei mitten in Europa. Empathisch und doch unaufgeregt erzählt, voller ungewöhnlich offener, bestürzender O-Töne, handwerklich perfekt produziert.“



    Der CIVIS Medienpreis gehört zu den wichtigsten Auszeichnungen in Europas Medienlandschaft: Jedes Jahr werden die besten Beiträge zu den Themen Integration und kulturelle Vielfalt aus den Sparten Film, Fernsehen, Radio, Internet und Kino prämiert. Über 900 Programme aus 22 EU-Staaten und der Schweiz nahmen am Wettbewerb 2020 teil.

    Die Sendung war auch unter den Finalisten für den Prix Europa und den Prix Italia 2019.

    Produktions- und Sendedaten
  • Details

    In Mali, Soumayla Sacko era contadino. In 2015, doveva abbandonare la sua terra perché il cambiamento climatico non consentiva più all’agricoltura. In Calabria, lavorava come bracciante per 2 a 3 euro l’ora, ma era anche attivista del’Usb, l’Unione sindacale di base. Per quattro anni, viveva nella baraccopoli di San Ferdinando.

    La ragione per quella è uscito dall’anonimo, non erano le sue qualità, ma questa: il due giugno 2018, è stato fucilato in una fabbrica dismessa di San Calogero, considerata come una delle discariche illegale più devastante del Europa, perché la malavita ci ha interrato 135.000 tonnellate di metalli pesanti, fanghi e ceneri industriali, in mezzo agli agrumeti. Soumayla Sacko ci stava staccando delle lamiere arrugginite, per aiutare un amico — un connazionale del Mali — a costruirsi una baracca dove dormire dopo le sue lunghe giornate di lavoro.

    È una storia sull’ingiustizia sociale e la schiavitù che esiste in Europa nel anno 2018. La storia di Soumayla Sacko mi sembra emblematica di questi problemi, perché ne fa vedere molte dimensione: La ghettizzazione e lo sfruttamento radicale dei migranti africani; il caporalato e il coinvolgimento della malavita nel settore agricolo; la tirannia della Grande Distribuzione Organizzata, abbassando sempre i prezzi dei prodotti agricoli nel supermercato, ma facendo pagare il minor costo del prodotto alla parte più debole della catena.

    Comunque, tra l’impegno per il sindacalismo di Soumayla e dei suoi compagni, la storia può dare la speranza che si costituisce una nuova sinistra in Italia. «La sinistra non c’è.», diceva il sindacalista Giuseppe di Vittorio negli anni 1930: «Va ricostruita a partire dai luoghi e dalle contraddizioni sociali. Bisogna partire dalle periferie, dalle aree rurali, da quei luoghi sperduti sui quali i riflettori non si accendono, fin quando un lavoratore e sindacalista non viene fucilato. La sinistra cosa è se non c' è in quei luoghi?».

    Premio giornalistico Carla Agustoni 2019

    Documentario vincitore del “Premio speciale”

    Lugano 12.10.2019 per la Fondazione amici di AMCA
    Premio speciale a Franziska Dorau per l’audio-documentario “Soumayla Sacko”
    Il premio Carla Agustoni è indetto da AMCA e patrocinato dalla Fondazione amici di AMCA. Ricompensa lavori giornalistici di grande qualità attenti all’essere umano, i suoi diritti e la sua dignità.
    Membri della giuria:
    O. Cerri, F. Ceppi, A. Crespi, N. Fioretti, C. Morinini, L. Mottini

    Produktions- und Sendedaten
  • Details

    An intimate portrait of European dementia patients whose care has been “subcontracted” to nursing homes in Thailand. We hear from inside a home in a suburb of Chiang Mai where Thai staff care for patients from Switzerland and Germany. It costs perhaps between a third and a half of equivalent, or arguably better, care in the patients’ home countries. We hear the funny and warm interactions between the two very different cultures — and the astonishment of the Thai staff at the way that Europe treats its senior citizens.

    Open Ear features documentaries from producers across the world being rebroadcast by the BBC World Service. This programme originally aired in German on ORF in Austria.

    Produktions- und Sendedaten
  • Details

    Er blinket und tönt, schickt bunte Verheißungen über den Schirm, liefert Reize im Sekundentakt. Seine Bildsprache ist eine, die auch zweijährige Kinder ansprechen würde: Seepferdchen und lachende Delphine wiegen sich, Muscheln klappen freundlich ihre Schalen auf und zu, fette goldene Herzen blinken, Glücksräder drehen sich im Kreis. Von allen Arten des legalen Glücksspiels hat, laut einer Studie des Hamburger Instituts für Suchtforschung, der Spielautomat das höchste Suchtpotenzial. Die österreichische Gesetzgebung hat für das Automatenspiel – sofern es nicht in einem großen Casino stattfindet – den verharmlosenden Begriff „kleines Glücksspiel“ geprägt. Durch die Besteuerung dieses „kleinen Glücks“ fließen Millionen in die Kassen der österreichischen Bundesländer. Doch stellt sich die Frage, ob die Folgekosten – die Therapiestunden für Süchtige, die soziale Unterstützung für Verschuldete, die finanziellen Schäden durch Beschaffungskriminalität – nicht weitaus höher sind als diese Steuereinnahmen.

    In sieben Szenen kommen Protagonisten aus dem Umfeld des Automatenglücksspiels zu Wort: Nazife, die nicht mehr weiß, wie sie die Spielschulden ihres Mannes und ihres ältesten Sohnes abarbeiten soll. Daki und Denim, die ihre Spielsucht durch Räube, Diebstähle und Erpressungen finanziert haben und jetzt in einer Justizanstalt für straffällige Jugendliche einsitzen. Franz Wohlfahrt, der als Generaldirektor der „Novomatic AG“ Jahresumsätze in Milliardenhöhe erzielt und sich mit großer Überzeugung als Kulturförderer präsentiert. Und Behçet, der alles verloren hat und dessen Freund sich vor einem Grazer Spielsalon, in dem beide Stammgast waren, mit Benzin übergossen und verbrannt hat.

    Dieses Feature entstand kurz vor dem Inkrafttreten der österreichischen Glücksspielnovelle vom 1. 1. 2015.

    Prix Europa 2014

    Nominierung

    Produktions- und Sendedaten
  • Life’s Holiday

    über die Pflege europäischer Demenzkranker in Thailand

    ORF
    Details

    Faham Village. Ein Vorort der 150.000-Einwohner-Stadt Chiang Mai, im Norden Thailands. Die Luft ist mild, der Himmel weißlich-blau. In der Ferne sind die Berge Doi Pui und Doi Suthep zu sehen. Eine ruhige, asphaltierte Straße wird von Einfamilienhäusern mit rotgedeckten Dächern und schmiedeeisernen Gartentoren gesäumt. Dahinter: wuchernde, tropische Gärten, in denen bunte Windspiele mit Glöckchen hängen.

    Ist sie hier in den Ferien? Oder ist es „ihr letzter Platz“? Ist sie wirklich schon seit zwei Jahren da, wie ihre Betreuerinnen es behaupten? Oder doch erst seit zwei Wochen, wie ihr Gefühl es ihr sagt? Um diese Fragen kreist Elisabeths Bewusstsein, seit sie von ihren Töchtern in die nordthailändische Stadt Chiang Mai gebracht wurde. Im Pflegeheim „Baan Kamlangchay“ verbringt sie, mit zehn weiteren Alzheimer- und Demenzkranken aus Deutschland und der Schweiz, ihren Lebensabend. Die meisten von ihnen sind bereits im späten, „non-verbalen” Stadium des geistigen Abbaus angelangt.

    100.000 Demenzkranke leben derzeit in Österreich. In der Schweiz: Ebenso viele. In Deutschland: 1,4 Millionen. Mit den Demenzkranken aller drei Länder könnte man die Stadt Wien bevölkern. Bis 2050 wird sich ihre Zahl – so die demographische Prognose – verdreifacht haben. Sollte die Auslagerung pflegebedürftiger alter Menschen in Billiglohnländer angesichts dessen ein zukunftsweisender, vielleicht sogar unumgänglicher Trend sein?

    Prix Europa Radio Awards

    Best European Radio Documentary of the Year 2012

    „Life’s Holiday. Über die Pflege europäischer Demenzkranker in Thailand„ wurde am 28. Oktober 2012 in Berlin mit dem „Prix Europa„ in der Kategorie Radio-Documentary ausgezeichnet. Von einer Jury aus 39 professionellen Radiomachern wurde das Feature aus 31 nominierten, internationalen Radiodokumentationen ausgewählt.

    Zitat aus dem Jury Report:
„… the best radio documentaries often explore moral complexity, and this outstanding programme never tried to force its listeners to condone or condemn the families who send loved ones to Thailand to be looked after in old age. It touched on an issue that preoccupies all western societies — how to care for the elderly — but approached the topic through powerful personal stories told with great delicacy and tact. The production style and use of sound perfectly matched the programme’s delicate approach to portraying its subjects …”

    Produktions- und Sendedaten
  • Holodomor

    über den Hunger des Jahres 1933 und andere Geheimnisse. Eine ukrainische Ausgrabung

    Österreichischer Rundfunk / Deutschlandradio Kultur
    Details

    „Geheimnisse“ lautet der Name eines Spiels, das in der Ukraine von kleinen Mädchen gespielt wird. Sie graben ein Erdloch, füllen es mit bunten Fundstücken, bedecken es mit einer kleinen Glasscheibe und schütten es wieder zu. Am nächsten Tag kommen sie zu dem Versteck zurück und sehen sich den schimmernden, funkelnden Schatz unter der Scheibe an. Auch ihre Großmütter haben es so gemacht – mit den christlichen Ikonenbildern, die sie vor der Zerstörung durch die Sowjetmacht bewahren wollten. So beschreibt es die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko.

    In der Sowjetukraine durfte vieles nur im Geheimen bewahrt werden. Auch die Erinnerung an dreieinhalb bis vier Millionen Hungertote, die Stalins Kollektivierungspolitik Anfang der 1930er Jahre gefordert hat. Sechs Jahrzehnte lang war es bei Strafe verboten, über den Hunger der Jahre 1932 und 33 zu sprechen. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine wurde er als „Holodomor“ bekannt – und zum Völkermord an den Ukrainern erklärt. Seitdem spielt er eine bedeutende und kontroversielle Rolle für die ukrainische Identitätsbildung.

    Auf einer Reise durch die Zentral- und Ostukraine hat die Autorin Überlebende des Holodomor zu ihren Erinnerungen befragt. Sie erzählen von der fruchtbaren ukrainischen Schwarzerde, vom Wohlstand, den sich die Bauern vor dem „großen Hunger“ erarbeitet hatten – und davon, wie in ihren Dörfern, am Beginn der 1930er Jahre, ein Klassenkampf inszeniert wird, der dazu dient, die Bauern ihrer Lebensgrundlage zu berauben und sie zum Eintritt in die Kolchosen zu zwingen. Ernten, Vieh und schließlich auch persönliche Vorräte der Familien werden beschlagnahmt – bis das Land in eine künstliche Hungersnot stürzt. Zur selben Zeit werden Millionen Tonnen Getreide aus den sowjetischen Agrarregionen in das „sozialistische Vaterland“ exportiert oder zu Schleuderpreisen nach Europa verkauft.

    Die Verunsicherung darüber, wer die Verantwortung für den Hunger in Russlands „Kornkammer“ trug, hält bei vielen von ihnen bis heute an.

    Diese Sendung wurde durch ein Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung ermöglicht und im Rahmen „Masterschool on Radiofeatures“ der EBU (European Broadcasting Union) produziert.

    Produktions- und Sendedaten
  • 50 Jahre Unabhängigkeit im Senegal

    von der Modelldemokratie zum westafrikanischen Mittelmaß

    Österreichischer Rundfunk
    Details

    Als das „Afrikanische Jahr“ ging das Jahr 1960 in die Weltgeschichte ein. Siebzehn ehemaligen europäischen Kolonien in Schwarzafrika – darunter dem Senegal – brachte es das Ende der Kolonialherrschaft. Sie alle feierten 2010 das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Unabhängigkeit.

    Doch was bedeuten fünf Jahrzehnte Selbstbestimmtheit nach mehr als drei Jahrhunderten imperialer Einflussnahme? Und welchen Einfluss hat die jahrhundertelange Erziehung zu Sprache und Kultur der Kolonisatoren noch heute?
 Der Topos des „Zerrissenseins“, des Lebens in einem kulturellen Zwischenraum wurde von vielen Intellektuellen der afrikanischen Kolonien und der Diaspora beschrieben. Andererseits waren es gerade die am stärksten assimilierten Schwarzafrikaner, die die Legitimität des Kolonialismus wirkungsvoll in Frage stellen konnten. Die Anpassung an die Dominanzkultur enthält die Möglichkeit zu ihrer Überwindung. Und fast alle maßgeblichen Persönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegungen wurden in den Bildungseinrichtungen der „Metropolen“ geformt.

    So auch Léopold Sédar Senghor, der als frankophoner Dichter und erster Präsident der unabhängigen Republik Senegal in die Geschichte der französisch-afrikanischen Beziehungen einging. Der "Dichterpräsident" Senghor war keineswegs unumstritten. Vielen Zeitgenossen schien er der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu nahe zu stehen. Dennoch gelang ihm der Dialog mit den verschiedensten sozialen Gruppen - von den Bauern des senegalesischen Hinterlandes über die wirtschaftlich einflussreiche Mouriden-Bruderschaft bis hin zu den protestierenden Studenten des Jahres 1968. Unter seiner Präsidentschaft entwickelte sich das Land zum kultur- und bildungspolitischen Vorzeigestaat.

    2010 hat sich die einstige Modelldemokratie im westafrikanischen Mittelmaß eingerichtet. Bei einem Durchschnittsalter von 18 Jahren sind 48 Prozent der Senegalesen arbeitslos. Der Analphabetismus nimmt zu - und die Absetzung des Französischen als Landessprache ist ein viel und kontroversiell diskutiertes Zukunftsszenario.

    Nach fünfzig Jahren Unabhängigkeit bleiben viele Fragen ungeklärt: Wo liegen die Möglichkeiten wirtschaftlicher Entwicklung? Wie funktioniert nationale Identitätsbildung nach drei Jahrhunderten imperialer Einflussnahme? Und wie wird die Logik des Kolonialismus fortgeführt?

    Literaturliste

    Léopold Sédar Senghor, "Botschaft und Anruf. Sämtliche Gedichte". Übertragen von Janheinz Jahn. München, Hanser 1963

    Léopold Sédar Senghor, "Liberté I - IV". Paris, Editions du Seuil, 1964 - 1983

    Janós Riesz, "Léopold Sédar Senghor und der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert". Wuppertal, Verlag Hammer, 2006

    Janet Vaillant, "Black, French and African: A Life of Léopold Sédar Senghor". Harvard University Press, 1990.

    James F. Searing, "West African slavery and Atlantic commerce". Cambridge University Press, 1993

    Le Monde Diplomatique, "Atlas der Globalisierung 2009". Berlin, TAZ- Verlags- und Vertriebsgesellschaft, 2009

    OECD Development Center, "Turning African Agriculture into a Business". 2009

    Produktions- und Sendedaten